Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e.V.
Stadt- und Schlossführung in Ortenberg
Bericht über die Veranstaltung der Gesellschaft von Samstag, 21. April 2012
Um 10 Uhr am Vormittag versammelten sich die individuell angereisten Teilnehmer auf dem
Vorplatz der Sparkasse. Annähernd 30 Personen, zur Hälfte Gäste, wurden von unserem ersten
Vorsitzenden, Herrn Dr. Bernard willkommen geheißen. Herr Manfred Meuser, erster Vorsitzender
des Kulturvereins „Altes Rathaus Ortenberg“, begrüßte die Gruppe ebenfalls und begann sogleich
mit der Führung durch die pittoreske Altstadt Ortenbergs mit einer Schilderung der Ursprünge des
Ortes. Im Jahr 1266 wurde Ortenberg das Stadt- und Marktrecht verliehen. Seit dieser Zeit existiert
auch der überregional bekannte „Kalte Markt“ der immer in der letzten Oktoberwoche, heuer zum
746-sten mal, veranstaltet wird. Der Name rührt von der zum Ende Oktober schon kalt gewordenen
Jahreszeit her. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ernten alle eingefahren und die Bevölkerung konnte
am Markt mit Ihren Produkten handeln und sich für den bevorstehenden Winter mit den
notwendigsten Sachen eindecken. Neben dem „Kalten Markt“ gab es noch drei weitere Märkte, u.a.
den Andreasmarkt und den Johannismarkt.
Im Jahr 1566 wurde die Stadt durch einen Großbrand zerstört. Sie wurde nach und nach,
unterbrochen durch die Wirren und weiteren Zerstörungen durch kroatische Horden im 30-jährigen
Krieg, langsam wieder aufgebaut. Die politischen Zugehörigkeiten von Burg, Schloss und Stadt
Ortenberg sind durch die Jahrhunderte recht wechselhaft. Es würde daher zu weit führen, diese hier
im Einzelnen darzustellen. Interessierte können sich diese Informationen im Internet unter
WIKIPEDIA.de beschaffen.
Die Altstadt von Ortenberg hat sich in den letzten 30 Jahren zu einem Schmuckstück besonderer
Art entwickelt. Im Jahr 1980 begann diese Entwicklung mit der Aufnahme in das Städteförderungs-
programm. Eine Schautafel neben dem Sparkassengebäude gab einen ersten Überblick über den
Sanierungsbereich. Marode gewordenen Fachwerkhäuser wurden restauriert, Straßen, Wege und
Plätze neu gepflastert (mit ausgebauten Pflastersteinen aus der damaligen DDR), und alle
möglichen Versuche unternommen, um der Kernstadt wieder Leben einzuhauchen und neue
Bewohner anzuziehen. Heute muss man leider feststellen, dass diese Bemühungen nicht zum
gewünschten Ergebnis geführt haben. Fast alle Einzelhandelsgeschäfte in den restaurierten
Häusern wurden inzwischen geschlossen und die Geschäftstätigkeit hat sich vor die Tore der Stadt
in Supermärkte auf der grüne Wiese verlagert. Etliche komplett restaurierte Häuser stehen nach
dem Ableben ihrer Bewohner leer und warten auf interessierte Käufer, so auch eines der ältesten
Fachwerkhäuser, das ehemalige Haus der Familie Schiff. Herr Gottlieb Schiff, von Beruf Schneider
und jüdischen Glaubens war als Ortenberger allseits beliebt bis er durch die Nazis mit seiner
Familie vertrieben in die USA auswanderte. Nach dem Krieg hat er mehrmals seine alte Heimat
besucht. 1983 bei seinem letzten Besuch ist er bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt und
wurde seinem Wunsch entsprechend in Ortenberg beigesetzt. Die Stadt pflegt sein Grab. Schon in
sehr früher Zeit, im 13. Jahrhundert waren in Ortenberg jüdische Bürger angesiedelt. Ihr Anteil an
der Gesamtbevölkerung betrug bis zu 10 Prozent. Bis zur Machtergreifung der Nazis lebten sie mit
den übrigen Ortenberger Bürgern in bestem Einvernehmen.
In früherer Zeit umgab eine Stadtmauer die Stadt Ortenberg. Durch drei Stadttore
konnte man in die Stadt gelangen. Zwei Tore wurden im letzten Jahrhundert als
„Verkehrshindernisse“ abgebrochen, nur das Obertor ist noch erhalten. Die
ehemaligen Standorte der abgerissenen Tore sind durch Fundamentreste noch
erkennbar. Drei Tore, verbunden durch eine stilisierte Stadtmauer zieren das Wappen
der Stadt. Von der Stadtmauer sind noch Reste erhalten, die in letzter Zeit
herausgeputzt wurden.
Durch die Untergasse, vorbei an vielen schönen Fachwerkfassaden bestaunten wir die ehemalige
Mühle, deren Besitzer bezeichnenderweise Müller heißt. Der nebenan fließende Mühlbach bewegt
leider kein Mühlrad mehr, es ist komplett verschwunden. Über ein sehr steiles, gepflastertes
Gässchen ging es dann berauf zum Alten Rathaus, das heute für Veranstaltungen und Trauungen
dient. Im unteren Saal erzählte Herr Meuser interessante Anekdoten aus der Vergangenheit. So
z.B. die Geschichte vom „Bösen Bubenwein“. Bis ins späte 18. Jahrhundert wurde in Ortenberg
auch Wein angebaut. Wegen des hierfür ungünstigen örtlichen Klimas, erlangten die Trauben aber
nicht die erforderliche Reife, so dass ein recht saurer Wein entstand. Wenn ein Bürger sich etwas
zu Schulden kommen lies, wurde er als Strafe zur Abgabe von bestimmen Mengen Weins
verurteilt. Dieser Wein wurde dann in einem Fass bis zum folgenden Aschermittwoch gelagert und
dann an die Bevölkerung kostenlos ausgeschenkt. Kirchliche Kreise sprachen dann von einem Tag
wie „Sodom und Gomorrah“.
Neben dem Alten Rathaus befindet sich eine allseits bekannte
Kleinkunstbühne, der „Fresche Keller“. Der Name stammt vom
Besitzer des Hauses, dem Bäcker Fresch. Die Bühne wird von dem
Schauspieler Hans Schwab geleitet, der in der Altstadt die
zahlreichen Straßenlampen mit scherenschnittartigen Figuren und
Bildern ausgestattet hat, die Bezug zur Stadt Ortenberg und deren
Geschichte haben. Herr Schwab veranstaltet in diesem Rahmen
nächtliche Lampen-führungen, bei denen man die Zusammenhänge
der Bilder mit den Geschichten der Vergangenheit erfahren kann.
Weiter bergauf verlässt man dann die von der Allgemeinheit
bewohnte Kernstadt und kommt in den Bereich der so genannten
Burgmannenhäuser. Es waren dies Wohnhäuser von Angehörigen
des niederadeligen Standes, die der jeweiligen Herrschaft der Burg
zu Diensten waren. Ein einsetzender kurzer Regenschauer
veranlasste die Gruppe sich unter das nahe Obertor zu flüchten, um
dort den Erklärungen Herrn Meusers aufmerksam zu zuhören. Die
Stadtführung endete an der alten Marienkirche, deren Ursprünge auf
das Jahr 1183 zurückgehen. Die Kirche ist weltweit bekannt wegen
ihres „Ortenberger Altars“ aus dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, der als Original im
Landesmuseum Darmstadt steht. Er war sogar bei
einer Weltausstellung in Paris ausgestellt. In der
Kirche steht als Hauptaltar eine sehr gute Kopie des
dreiflügeligen Kunstwerks. Das Altarbild wird dem
„Meister des Ortenberger Altars“ zugeschrieben. Es
soll mittelrheinischen Ursprungs sein. Es zeigt als
Szene „Die Heilige Sippe“, mit der Verkündigung,
Geburt Jesu und die Anbetung der Könige. Das
Kircheninnere ist sehr gut restauriert. Die Decken-
gewölbe sind mit Blumen- und Kräuterranken nach
Vorbildern der Heiligen Hildegard von Bingen
ausgemalt.
Herr Dr. Bernard dankte Herrn Meuser vor dem Kirchentor für die lebendige und interessante
Führung und übergab als Dankeschön das Buch „Die Chronik von Lindheim“ aus der Schriftenreihe
der Gesellschaft.
Nahtlos ging das Programm zur vorgesehenen Schlossführung über. Der Kunsthistoriker,
Archäologe und Historiker, Herr Michael Schroeder nahm uns vor der Kirche in Empfang. Nach
kurzer Wegstrecke, vorbei am fürstlich Stolberg-Roßla´schen Rentamt erreichte die Gruppe das
Torhaus zur Schlossanlage, das zu einem Gruppenfoto einlud. Nach dem Tor gingen wir über einen
befestigten Weg zum Schlosshof. Ursprünglich stand auf dem Platz des derzeitigen Schlosses eine
Burg, die im 12. Jahrhundert auf einem Basaltsporn erbaut worden war. Sie entstand in staufischer
Zeit im Zug der vielen anderen in der Wetterauer Region noch xistierenden und auch nicht mehr
existierenden staufischen Burgen, wie Münzenberg, Büdingen, Glauburg. Im Jahre 1166 ist ein
Werner von Ortenberg und 1180 ein Wortwin von Ortenberg als Erbauer der Burg erwähnt. Die
Burg diente als Kontrollstation einer wichtigen West – Ostverbindung, der Nidderhandelsstraße,
einem Teil der Strecke von Frankfurt am Main nach Leipzig. Ein mächtiger Donjon, ein Wohn- und
Wehrturm, überragte die Burg. Er wurde im Zug von kriegerischen Angriffen schon 1241 zerstört
und nicht wieder aufgebaut. Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Burg zur Wohnburg und 1624-
1627 zum Schloss umgebaut.
Später sollte die Anlage im Stil eines Renaissanceschlosses verändert werden. Die Pläne eines
Hanauer Architekten hierfür existieren noch heute im Schlossarchiv. Zu diesem Umbau kam es
jedoch infolge des beginnenden 30-jährigen Krieges nicht. In der Übergangszeit vom 18. Zum 19.
Jahrhunderts entstand der klassizistische Schlossneubau, so wie er heute im wesentlichen zu
sehen ist. Für das Publikum wurde ein Teil des Schlosses vor kurzem zugänglich gemacht. Der
jetzige Schlossherr, Alexander Fürst zu Stolberg-Roßla gab die „Belle Etage“ im Westflügel des
Schlosses zur Besichtigung frei. Die Innenräume wurden in den vergangenen zehn Jahren einer
gründlichen Sanierung und Restaurierung unterzogen, wobei größterWert auf die originale
Wiedergabe ursprünglicher Formen und Farben gelegt wurde. Dies ist in hervorragender Weise
gelungen. Herrlich ist auch der Blick aus den Fenstern von der Höhe des Schlosses auf die tiefer
liegende Stadt und die sie umgebenden Höhen.
Unser Schlossführer, Herr Schroeder hat sich ausgiebig mit der Geschichte des Schlosses befasst
und einen ausführlichen Führer zu Burg, Schloss und der Familiengeschichte des Hauses Stolberg-
Roßla verfasst. Dies war auch bei der Führung zu erkennen, bei der er anhand der vielen Portraits
nahezu alle Namen, Stellungen und Beziehungen zu- und untereinander erläuterte. In dem zuvor
erwähnten Buch von Herrn Schroeder sind mit vielen farbigen Abbildungen alle Daten und Fakten
hervorragend und umfassend dargestellt.
Herr Dr. Bernard bedankte sich für die ausgezeichnete Führung bei Herrn Schroeder, die für jeden
Teilnehmer ein Erlebnis war. Danach stiegen wir durch die Altstadt hinunter zu den Fahrzeugen und
die Heimfahrt begann.
Altenstadt, den 22. April 2012
August Trützler