Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e.V.
Lichtbildervortrag von Pascal Hess, Frankfurt,
gehalten am 16.03.2012 in der Begegnungsstätte
der Kath. Kirche, Altenstadt
Das Gesicht als Spiegel der Seele – Der Naumburger Meister.
Zusammenfassung des Vortrags von Pascal Heß vom 16. März 2012
Der „Naumburger Meister“ hat durch seine Darstellung der weltberühmten „Uta“ und ihre
Rezeption während des Nationalsozialismus einen großen Bekanntheitsgrad im deutschen
Sprachraum erlangt. Tatsächlich ist der „Naumburger Meister“ aber nicht als einzelne Person,
sondern vielmehr als Werkstattzusammenhang zu verstehen. Seine Prägung ist nicht etwa
„deutsch“, wie im Nationalsozialismus postuliert, sondern sie hat vielmehr in Frankreich
stattgefunden. Dass der „Meister“ seine Stifterfiguren im Westchor des Naumburger Doms so
lebensnah und ausdrucksstark gestalten kann, hängt mit einer neuen Auffassung von Kunst
und Religiosität zu Beginn des 13. Jahrhunderts zusammen. Statt der Darstellung eines
lebendigen Christus am Kreuz setzt sich die Darstellung des Toten durch. Erst durch den Tod
werden der Triumph Christi und die Quelle für das Abendmahl erkennbar. Gleichzeitig rückt die
Darstellung von Emotionen an der wichtigsten Baustelle des 13. Jahrhunderts, der Kathedrale
in Reims, in den Blickpunkt. Die Emotion ist dabei der Spiegel unserer Seele: Je mehr
Emotion, desto weniger ist der Mensch in der Lage sich zu kontrollieren und ähnlich wie
Christus Welt und Leid zu entsagen. Je stärker die Emotion, desto größer der Grad der
Sündhaftigkeit. Auch die Darstellung von Natur wird differenzierter, weil im neuen Verständnis
des 13. Jahrhunderts Gott in jedem Detail zu finden ist. Je mehr der Mensch die Natur
versteht, desto näher kommt er der göttlichen Ordnung. Und auch die Architektur hält mit
diesen Entwicklungen Schritt. Erstmals zeichnen Baumeister maßstabsgerecht verkleinerte
Pläne. Die Grundlage für diese Entwicklungen, die der „Naumburger Meister“ gekannt haben
muss, werden an der Universität von Paris geschaffen. Ohne Kenntnis dessen hätte der
„Meister“ wohl kaum die Triumphkreuzgruppe von Naumburg, den emotionalen Ausdruck der
Stifter, die Kapitelle mit elaboriertem Blattwerk und die Gesamtkonzeption für den Westchor,
den Stifterchor in Naumburg entwickeln können.
Der Weg der Werkstatt des Naumburger Meisters lässt sich von Reims über Noyon und Metz,
dann über Mainz und Gelnhausen bis nach Naumburg und Meißen nachvollziehen. Mit dem
Westlettner und dem Stifterchor in Naumburg liegt das Hauptwerk der Werkstatt des
„Naumburger Meisters“ vor.
Der Westlettner zeigt Reliefs mit der Passion Christi. In den Darstellungen wird zwischen Gut
(Christus) und Böse (Judas) unterschieden, indem ein guter Mensch sich anständig benimmt
und seine Emotionen kontrolliert, während ein böser Mensch seinen Lastern und Gefühlen
nachgibt – das Gesicht wird zum Spiegel der Seele. Am Durchgang zum Chor hat der
„Naumburger Meister“ die Kreuzigung Christi angebracht und macht uns damit zu
Augenzeugen der Geschehnisse. Die Kreuzigung findet vor unseren Augen in unserer Realität
statt und ist somit bewiesen und wahr. Über der Passionsdarstellung schwebt Christus als
Weltenrichter. Er entscheidet darüber, ob unser Mitgefühl und Verständnis für das Leiden
Christi ausgereicht haben, um durch den Lettner, also durch das Jüngste Gericht hindurch zu
schreiten.
Im Chor zeigt die Werkstatt des „Naumburger Meisters“ dann über Kopfhöhe die Stifterfiguren.
Sie sind allesamt mit Emotionen versehen und modisch gekleidet, also Sünder wie der
Betrachter. Über den Stifterfiguren sind Fenster mit Heiligendarstellungen zu sehen. Damit
erklärt sich die Gesamtkonzeption des Naumburger Westchores: Man nimmt Anteil an der
Passion Christi, wird Augenzeuge der Kreuzigung und schreitet durch das Weltgericht.
Jenseits des Weltgerichtes
erwarten den Gläubigen dann die Stifterfiguren, die das Gebäude bezahlt haben. Sie sehen
aus wie jeder Zeitgenosse und sind ebensolche Sünder. Aber ihr fester Glaube und ihre
Stiftungstätigkeit haben ihnen bereits einen Platz jenseits des Weltgerichtes gesichert. Und
Ihre Anbringung über den Köpfen der Betrachter zeigt, dass sie unsere irdische Ebene bereits
verlassen haben und aufgrund ihrer Frömmigkeit bereits aufgestiegen sind. Noch sind sie aber
nicht auf Augenhöhe mit den Heiligen in den Fenstern. Dafür benötigt es noch Fürbitten und
Gebete.
Aus diesem Konzept heraus entsteht für den Betrachter ein Versprechen: Ich bin zwar ein
Sünder und mein Gesicht ist der Spiegel meiner Seele – aber wenn ich es schaffe, dass die
Stiftsherren in Naumburg für mich beten, wenn ich also im festen Glauben stifte, dann ist
meine Erlösung ebenfalls möglich.